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Der Aprilscherz, der keiner ist: die Comic Sans Pro

Der erste Hinweis kommt am Abend des 31. März 2011. Über ihren Twitteraccount teilt die Bad Homburger Typoschmiede Linotype mit, dass am nächsten Tag etwas großartiges passieren wird. Am Vormittag des 1. Aprils wird per Pressemitteilung dann die »lang ersehnte« Comic Sans Pro angekündigt. Nicht nur die beigefügten Bilder »Danger: heavy use of Comic Sans Pro ahead«, sondern auch Hinweise auf den erfolgreichen Einsatz der Schrift in »Gebrauchsanleitungen, Krankenwagenbeschriftung bis hin zu der Gestaltung von Unternehmensleitbildern« lassen an einen Aprilscherz glauben. Ein Zitat des Gestalters, der 1994 veröffentlichten Comic Sans, Vincent Connare, unterstreicht diesen Eindruck:

Durch den Pro-Ausbau lässt Comic Sans jetzt Jedermann wie einen professionellen Layouter erscheinen.

Hier wird bewusst mit dem schlechten Image der Comic Sans unter GestalterInnen gespielt und die Kommentare im Netz (zum Beispiel im Blog von Monotype) scheinen sich einig: Bei der Ankündigung handelt es sich um einen gelungenen Aprilscherz. Und gut vorbereitet ist er auch: Die Comic Sans Pro findet sich nicht nur im Webshop von Linotype wieder, sondern auch auf der Webseite von Terrance Weinzierl, der in der Pressemitteilung als Urheber des Ausbaus genannt wird, findet sich ein Eintrag zur Pro-Variante der Comic Sans. Überraschender Weise präsentiert Google just an diesem 1. April die Ergebnisse der Suche nach »Helvetica« in der Comic Sans. Alles scheint perfekt zu passen.

Comic Sans Pro
Die vier Schnitte der neuen Comic Sans Pro.

Erst als eine scherzhaft formulierte Interviewanfrage an Linotype mit vier Schriftdateien beantwortet wird, beginne ich zu realisieren, dass die Comic Sans Pro wohl doch realer ist, als es mir zunächst schien. Die Dateien enthalten tatsächlich die angekündigten über 1000 Schriftzeichen, darunter Kapitälchen, Swash-Varianten und Piktogramme. Aber der Reihe nach.

Vergleich Italic
Im direkten Vergleich: Die aufrechte Version der Comic Sans Pro (oben) mit der neuen Italic Version (unten).

Die Comic Sans gehört sicher zu den am meisten eingesetzten Schriften. Im Office-Paket von Microsoft mitgeliefert, kommen die etwas unförmigen, an eine mit Filzstift geschriebene Handschrift erinnernden, Buchstaben immer dann zum Einsatz, wenn die Gestaltung etwas lockerer erscheinen soll. Die überwiegende Zahl der im Sekretariat gestalteten Einladungen zu Betriebsfeiern dürften die Comic Sans benutzen, so wie diese Schrift auch den Quasi-Standard für Elternbriefe in Kindergarten und Grundschule bildet. Für Profis ist die Comic Sans dank ihrer starken Verbreitung abgenutzt. Darüber hinaus wird sie viel zu oft falsch eingesetzt. Man findet sie eben wirklich, wie in der Pressemitteilung erwähnt, in Gebrauchsanleitungen, Examensarbeiten oder der Unternehmenskommunikation. Kurzum, die Ablehnung der Comic Sans ist unter professionellen GestalterInnen zu einem identitätsstiftenden Moment geworden.

Alternative
Zwei der Buchstabenalternativen der neuen Comic Sans Pro.

Trotzdem lässt sich der Erfolg der Schrift nicht leugnen, und ein Ausbau erscheint durchaus angebracht. Die von Terrance Weinzierl gezeichnete und jetzt veröffentlichte Comic Sans Pro ist folgerichtig keine Überarbeitung der Comic Sans, sondern eine gewaltige Erweiterung. Bestehende Buchstaben werden nicht verändert, nur die Zurichtung der Schrift wird leicht angepasst und die neue Pro läuft etwas schmaler als die bisherige Comic Sans. Dafür werden zahlreiche Sonderzeichen ergänzt und die Unterstützung vor allem für osteuropäische Sprachen weiter ausgebaut. Unverändert sind auch die verfügbaren Linienstärken: neben der Regular liegt von der Comic Sans Pro ein Bold-Schnitt vor. Bei den neuen Italic-Schnitten handelt es sich zwar im Wesentlichen um schräggestellte Versionen der Aufrechten, aber immerhin erhält das gemeine »f« eine Unterlänge und das »t« einen geschwungenen Fuß. In allen Schnitten der Comic Sans Pro ergänzt Weinzierl Mediävalziffern, Kapitälchen und Swash-Varianten. Diese mit zusätzlichen Linienschwüngen versehenen Buchstaben verfügen dabei über eine der normalen Version entsprechende Laufweite. Es kann also ohne Umbruchänderung zwischen beiden Varianten gewechselt werden. Buchstabenalternativen mit einem offenen »a« und einem doppeläugigen »g« und einige Piktogramme im Comicstil runden das Angebot ab.

Swash
Die Swash-Variante der neuen Comic Sans Pro.

Fast alle zusätzlichen Glyphen werden über OpenType-Funktionen zur Verfügung gestellt. Was in Adobe InDesign und Quark Xpress ohne Probleme funktioniert, stellt Office vor eine größere Herausforderung. Zwar können in Word einige OpenType-Funktionen angewählt werden, eine wirkliche Unterstützung gibt es aber nicht. So werden zum Beispiel nicht die vorhandenen echten Kapitälchen der Comic Sans Pro genutzt, sondern falsche erzeugt. Ein Schalter für die Swash-Variante existiert erst gar nicht. Immerhin lassen sich die verschiedenen Ziffernsets über die OpenType-Funktionen von Word anwählen. Abhilfe schaffen drei Formatsätze, die die Kapitälchen, die Swash-Variante und die Buchstabenalternativen zur Verfügung stellen und auch in Word ausgewählt werden können. Allerdings lassen sich im Office für Mac 2011 die Kapitälchen nur in Kombination mit den Swash-Versalien aufrufen.

Piktogramme
Zwei der neuen Piktogramme.

Ein Ausbau der Sprachunterstützung einer derart verbreiteten Schrift wie der Comic Sans macht Sinn. Die Piktogramme dürften ihre Freunde finden und Italic-Schnitte mit Buchstabenalternativen sind automatisch schräggestellten Buchstaben immer vorzuziehen. Ob ein gewöhnlicher Office-Nutzer allerdings die anderen neuen Funktionen der Comic Sans Pro finden und auch einsetzen wird, ist nicht zuletzt auf Grund der beschriebenen Probleme sehr fraglich. Genauso darf bezweifelt werden, dass die Erweiterungen der Schrift die Vorbehalte gegen den Einsatz der Comis Sans unter Profis zerstreuen werden. Der Paukenschlag zur Einführung der Schrift am 1. April ist geglückt, ob die Comic Sans Pro aber wirklich AnwenderInnen findet, wird die Zukunft zeigen müssen.

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