Skip to content

Reisevorbereitungen zur Typo 2011

Nur noch zwei Tage und die jährliche Typokonferenz öffnet im Berliner Haus der Kulturen ihre Tore. Das diesjährige Thema »Shift« gibt wie üblich nur eine grobe Richtung vor. Auf der Konferenzwebseite wird das Motto als Strategie bezeichnet, die dabei hilft, die visuelle Kommunikation in Bezug auf aktuelle technologische Entwicklungen einzuordnen. Kurzum, nicht die Druckerschwärze, sondern digitale Gestaltungen im Web und auf modernen Touch-Geräten stehen diesmal im Mittelpunkt.

iOS-App-Screenshot
Die iOS-App zur Typo 2011.

Programm Neben den kurzen Informationen auf der Konferenzseite haben einige SprecherInnen jeweils sechs Fragen beantwortet. Die im Konferenzblog veröffentlichten Antworten zu besonderen Arbeiten, Inspirationen und der Typo gehen über die kurzen Lebensläufe im Programm hinaus und helfen bei der Zusammenstellung des eigenen Konferenzprogramms. Da zwar im Blog die jeweiligen Vorträge verlinkt sind, die Antworten aber nicht vom Konferenzprogramm aus aufgerufen werden können, sei der Besuch des Blogs empfohlen.

iOS-App Wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr eine eigene App für die Typo, die das Konferenzprogramm elektronisch zur Verfügung stellt. Seit gestern (16.5.) liegt das Programm in der Version 2.02 vor. Die Systemanforderungen sind moderat und auch auf meinem betagten iPod Touch lässt sich das Programm noch gut benutzen. Über die Funktion »myTYPO« (die übrigens auch auf der Webseite angeboten wird) lässt sich ein individuelles Programm zusammenstellen und verwalten. Außerdem hat man schnellen Zugriff auf Twitternachrichten, Blogeinträge, Facebook und Flickr zur Konferenz.

Streaming Erstmalig werden in diesem Jahr einige Vorträge der Typo in einem Livestream verfügbar sein. Unter http://www.typoberlin.de/livestream sind nicht nur die sechs Vorträge aufgelistet, sondern es wird auch schon ein Flashplayer angeboten.

Spiekermann-Plakat
Das Plakat zur Spiekermann-Ausstellung.

Musik Der »Soundtrack zur Typo«, also die Musik, die in den Pausen laufen wird, ist schon im Konferenzblog veröffentlicht. In dem Beitrag sind die vier Stücke über einen Flashplayer hörbar, hier sind die Links zu den MP3-Dateien: Laserpony – Farne unserer Heimat Laserpony – Magnolia Urbob – Panneborn Urbob – Don’t leave me (Instrumental)

Typografie in Berlin Im englischsprachigen Teil des Firmenblogs von Linotype hat Dan Reynolds eine Liste von typografischen Attraktionen in Berlin zusammengestellt. Wer also vor oder nach der Typo noch etwas Zeit in Berlin hat, findet hier sicher ein passendes Angebot. Mein Favorit ist die Spiekermann-Ausstellung im »Bauhaus-Archiv Museum für Gestaltung«, für die ich hoffentlich Sonntag Mittag Zeit haben werde.

Der Aprilscherz, der keiner ist: die Comic Sans Pro

Der erste Hinweis kommt am Abend des 31. März 2011. Über ihren Twitteraccount teilt die Bad Homburger Typoschmiede Linotype mit, dass am nächsten Tag etwas großartiges passieren wird. Am Vormittag des 1. Aprils wird per Pressemitteilung dann die »lang ersehnte« Comic Sans Pro angekündigt. Nicht nur die beigefügten Bilder »Danger: heavy use of Comic Sans Pro ahead«, sondern auch Hinweise auf den erfolgreichen Einsatz der Schrift in »Gebrauchsanleitungen, Krankenwagenbeschriftung bis hin zu der Gestaltung von Unternehmensleitbildern« lassen an einen Aprilscherz glauben. Ein Zitat des Gestalters, der 1994 veröffentlichten Comic Sans, Vincent Connare, unterstreicht diesen Eindruck:

Durch den Pro-Ausbau lässt Comic Sans jetzt Jedermann wie einen professionellen Layouter erscheinen.

Hier wird bewusst mit dem schlechten Image der Comic Sans unter GestalterInnen gespielt und die Kommentare im Netz (zum Beispiel im Blog von Monotype) scheinen sich einig: Bei der Ankündigung handelt es sich um einen gelungenen Aprilscherz. Und gut vorbereitet ist er auch: Die Comic Sans Pro findet sich nicht nur im Webshop von Linotype wieder, sondern auch auf der Webseite von Terrance Weinzierl, der in der Pressemitteilung als Urheber des Ausbaus genannt wird, findet sich ein Eintrag zur Pro-Variante der Comic Sans. Überraschender Weise präsentiert Google just an diesem 1. April die Ergebnisse der Suche nach »Helvetica« in der Comic Sans. Alles scheint perfekt zu passen.

Comic Sans Pro
Die vier Schnitte der neuen Comic Sans Pro.

Erst als eine scherzhaft formulierte Interviewanfrage an Linotype mit vier Schriftdateien beantwortet wird, beginne ich zu realisieren, dass die Comic Sans Pro wohl doch realer ist, als es mir zunächst schien. Die Dateien enthalten tatsächlich die angekündigten über 1000 Schriftzeichen, darunter Kapitälchen, Swash-Varianten und Piktogramme. Aber der Reihe nach.

Vergleich Italic
Im direkten Vergleich: Die aufrechte Version der Comic Sans Pro (oben) mit der neuen Italic Version (unten).

Die Comic Sans gehört sicher zu den am meisten eingesetzten Schriften. Im Office-Paket von Microsoft mitgeliefert, kommen die etwas unförmigen, an eine mit Filzstift geschriebene Handschrift erinnernden, Buchstaben immer dann zum Einsatz, wenn die Gestaltung etwas lockerer erscheinen soll. Die überwiegende Zahl der im Sekretariat gestalteten Einladungen zu Betriebsfeiern dürften die Comic Sans benutzen, so wie diese Schrift auch den Quasi-Standard für Elternbriefe in Kindergarten und Grundschule bildet. Für Profis ist die Comic Sans dank ihrer starken Verbreitung abgenutzt. Darüber hinaus wird sie viel zu oft falsch eingesetzt. Man findet sie eben wirklich, wie in der Pressemitteilung erwähnt, in Gebrauchsanleitungen, Examensarbeiten oder der Unternehmenskommunikation. Kurzum, die Ablehnung der Comic Sans ist unter professionellen GestalterInnen zu einem identitätsstiftenden Moment geworden.

Alternative
Zwei der Buchstabenalternativen der neuen Comic Sans Pro.

Trotzdem lässt sich der Erfolg der Schrift nicht leugnen, und ein Ausbau erscheint durchaus angebracht. Die von Terrance Weinzierl gezeichnete und jetzt veröffentlichte Comic Sans Pro ist folgerichtig keine Überarbeitung der Comic Sans, sondern eine gewaltige Erweiterung. Bestehende Buchstaben werden nicht verändert, nur die Zurichtung der Schrift wird leicht angepasst und die neue Pro läuft etwas schmaler als die bisherige Comic Sans. Dafür werden zahlreiche Sonderzeichen ergänzt und die Unterstützung vor allem für osteuropäische Sprachen weiter ausgebaut. Unverändert sind auch die verfügbaren Linienstärken: neben der Regular liegt von der Comic Sans Pro ein Bold-Schnitt vor. Bei den neuen Italic-Schnitten handelt es sich zwar im Wesentlichen um schräggestellte Versionen der Aufrechten, aber immerhin erhält das gemeine »f« eine Unterlänge und das »t« einen geschwungenen Fuß. In allen Schnitten der Comic Sans Pro ergänzt Weinzierl Mediävalziffern, Kapitälchen und Swash-Varianten. Diese mit zusätzlichen Linienschwüngen versehenen Buchstaben verfügen dabei über eine der normalen Version entsprechende Laufweite. Es kann also ohne Umbruchänderung zwischen beiden Varianten gewechselt werden. Buchstabenalternativen mit einem offenen »a« und einem doppeläugigen »g« und einige Piktogramme im Comicstil runden das Angebot ab.

Swash
Die Swash-Variante der neuen Comic Sans Pro.

Fast alle zusätzlichen Glyphen werden über OpenType-Funktionen zur Verfügung gestellt. Was in Adobe InDesign und Quark Xpress ohne Probleme funktioniert, stellt Office vor eine größere Herausforderung. Zwar können in Word einige OpenType-Funktionen angewählt werden, eine wirkliche Unterstützung gibt es aber nicht. So werden zum Beispiel nicht die vorhandenen echten Kapitälchen der Comic Sans Pro genutzt, sondern falsche erzeugt. Ein Schalter für die Swash-Variante existiert erst gar nicht. Immerhin lassen sich die verschiedenen Ziffernsets über die OpenType-Funktionen von Word anwählen. Abhilfe schaffen drei Formatsätze, die die Kapitälchen, die Swash-Variante und die Buchstabenalternativen zur Verfügung stellen und auch in Word ausgewählt werden können. Allerdings lassen sich im Office für Mac 2011 die Kapitälchen nur in Kombination mit den Swash-Versalien aufrufen.

Piktogramme
Zwei der neuen Piktogramme.

Ein Ausbau der Sprachunterstützung einer derart verbreiteten Schrift wie der Comic Sans macht Sinn. Die Piktogramme dürften ihre Freunde finden und Italic-Schnitte mit Buchstabenalternativen sind automatisch schräggestellten Buchstaben immer vorzuziehen. Ob ein gewöhnlicher Office-Nutzer allerdings die anderen neuen Funktionen der Comic Sans Pro finden und auch einsetzen wird, ist nicht zuletzt auf Grund der beschriebenen Probleme sehr fraglich. Genauso darf bezweifelt werden, dass die Erweiterungen der Schrift die Vorbehalte gegen den Einsatz der Comis Sans unter Profis zerstreuen werden. Der Paukenschlag zur Einführung der Schrift am 1. April ist geglückt, ob die Comic Sans Pro aber wirklich AnwenderInnen findet, wird die Zukunft zeigen müssen.

Zum Tod von Kurt Weidemann: Der König und der Narr

Am Nachmittag des 31. März verbreitet sich über Twitter die Nachricht, dass der Gestalter Kurt Weidemann am Tag zuvor gestorben ist. Nachrufe, die die Lebensgeschichte Weidemanns erzählen, gibt es schon jetzt zum Beispiel auf fontblog.de.

König und Narr
König und Narr: Film, Buch und Animation zum Leben von Kurt Weidemann.

Ich möchte an dieser Stelle auf das Projekt »König und Narr – Der Gestalter Kurt Weidemann« von Chris Schaal hinweisen, dass 2007 veröffentlicht wurde. Schaal begleitet Weidemann über drei Jahre mit der Kamera. Neben einem 45 Minütigen Film sind einzelne Szenen in Form von Text und Bildern in einem kleinen Buch wiedergegeben. Auf einer zweiten DVD bietet eine interaktive Flash-Animation längere Versionen einiger Filmszenen sowie ergänzende Informationen. Der Film erzählt auf der einen Seite Weidemanns Lebensgeschichte und dokumentiert auf der anderen Seite Auftritte und Diskussionen. Aber auch bei eher privaten Dingen wird der Zuschauer mitgenommen. So ist man zum Beispiel dabei, als Weidemann seinen Porsche verkauft. »König und Narr« ist eine Dokumentation der es gelingt, die vielen Facetten des Gestalters Weidemann einzufangen. Die drei Medien – Film, Buch, und Flash-Animation – bieten dabei immer wieder einen neuen Zugang zum Leben und den Ideen von Kurt Weidemann. Hat man Weidemann einmal bei einem seiner zahlreichen Auftritte direkt getroffen, rufen die Bilder von »König und Narr« diese Erlebnisse wieder ins Gedächtnis – ein Projekt dessen Kauf jetzt noch einmal mehr empfohlen sei! Der Titel »König und Narr« gründet sich übrigens auf Weidemanns Vorliebe für dieses Motiv. Es ziert nicht nur sein Briefpapier, sondern er sieht sich auch gerne in der Rolle des Narren, der dem König – sofern dieser zuhört – alles sagen darf.

inversblog bei Twitter

Ich habe gerade den Twitter-Account @inversblog zum Blog in Betrieb genommen. Dort werden wenigstens die neuen Beiträge bekanntgegeben, aber vermutlich auch noch einiges anderes.

Should I work for free?

Should I wok for free?
Die Ausgangsfrage in der Mitte des Diagramms.

Vermutlich hat jeder schon einmal ohne Honorar gearbeitet (freiwillig, meine ich natürlich). Die Frage unter welchen Voraussetzungen so etwas zu vertreten ist, wird unter GestalterInnen immer wieder gerne heiß diskutiert. Eine Entscheidungshilfe hat die US-Amerikanische Gestalterin und Typografin Jessica Hische entworfen. Ihr Flussdiagramm »Should I work for free?« stellt typische Fragen und zeigt die gängigen Fallstricke – alles mit einem gewissen ironischen Unterton, aber leider nicht weit von der Realität entfernt. Und wie kaum anders zu erwarten, gibt es nur wenige Ausnahmen, in denen diese Frage positiv beantwortet wird. Die ursprüngliche Gestaltung ist in englischer Sprache und als Bild umgesetzt. Inzwischen liegt das Diagramm sehr schick in CSS3 und mit Webfonts umgesetzt vor, wie auch seit Kurzem eine deutsche Übersetzung existiert.

invers ist tot? Es lebe invers!

Die Einstellung der Publishing Praxis Ende 2010 soll Anlass sein, die Geschichte der invers, die als Rubrik über viele, viele Jahre fester Bestandteil der Zeitschrift war, genauer zu beleuchten.

Experimenteller Aufbruch

Erste Ausgabe
Die erste Ausgabe der invers im November 1994.

Anfang der 1990er-Jahre führen immer leistungsfähigere Computer auch in der Druckbranche zu einem gewaltigen Umbruch. Mit dem sogenannten Desktop Publishing können Druckvorlagen relativ einfach und komfortabel am Bildschirm erstellt werden. Die neuen grafischen Möglichkeiten, auch in Erstellung und Einsatz von Schriften, laden zum Experimentieren ein und eine Phase der Chaostypografie, die Mitte bis Ende der 90er-Jahre ihre Hochzeit erlebt, beginnt.

Das Internet ist zu dieser Zeit den Kinderschuhen noch nicht entwachsen und über das klassische Telefonnetz verbundene Mailboxen bieten die Grundlage für eine elektronische Kommunikation. Die Diskussionsgruppe atari.dtp im deutschen Mausnet entwickelt sich zum Dreh- und Angelpunkt, der auf dem Atari-Computer beheimateten DTP-Software Calamus. Ein erstes Treffen, gefolgt von vielen weiteren, der Gruppe im „Reallife“ findet Anfang 1994 statt. Mit viel Aufwand wird die eigene Hardware in ein Tagungszentrum geschafft und an zahlreichen Arbeitsplätzen werden Tag und Nacht Tipps und Tricks ausgetauscht, wird diskutiert und Seminare abgehalten.

In dieser Umgebung der Kreativität und des digitalen Aufbruchs entsteht die Idee zur invers. Die Gestalter Frank Müller und Jürgen Funcke finden in Ulf Dunkel nicht nur jemanden der Calamus-Dokumente für den Druck belichten kann, sondern auch Produktion und Vertrieb der neuen Zeitschrift organisiert. Im November 1994 erscheint die erste, 32 Seiten umfassende, invers. Die Gestaltung des nicht ganz Din-A4-großen Heftes orientiert sich an Vorbildern wie Emigre oder Raygun. Neben Workshops, die helfen sich mit der neuen digitalen Welt zurecht zu finden, wird über alles berichtet was sich im Kontext von Gestaltung und Typografie abspielt. Und es darf viel experimentiert werden. AutorInnen, die möchten, können ihre Artikel selbst gestalten. Ein festes Raster existiert nicht, jeder Artikel stellt eine eigene Gestaltung dar. Mancher unleserliche Artikel führt nicht nur bei den PuristInnen zu Protest. Aber es ist eine Phase des Experimentierens und des Lernens.

Calamus kommt zur invers

Zwei Jahre später übernimmt der invers-Verlag zunächst die Vertriebs- später dann auch die Entwicklungsrechte an der Software Calamus. Nicht selten finden Bedürfnisse, die bei der Gestaltung der Zeitschrift invers entstehen, direkten Niederschlag in der Weiterentwicklung der Software. Aber auch umgekehrt findet eine Beeinflussung statt und die invers entwickelt sich zum Hausmagazin des DTP-Programms.

Mitte 1998 werden Verlag und Softwareentwicklung getrennt. Neben Jürgen Funcke als Chefredakteur ist fortan Günter Honkomp für Produktion und Vertrieb der invers verantwortlich. Allerdings kommt schon wenige Monate später das Aus für die invers als eigene Zeitschrift. Im Februar 1999 erscheint die letzte Ausgabe und invers wird als Rubrik mit Heft-im-Heft-Charakter in der Zeitschrift Publishing Praxis fortgeführt.

Die Rubrik invers in der Publishing Praxis

Auch als Rubrik genießt die invers weitgehende Autonomie. Besondere Papiersorten und absolute gestalterische Freiheiten schaffen einen unvergleichlichen Rahmen, um die Grundideen der invers fortzuführen.

Inhaltlich konzentriert sich die Rubrik invers in den kommenden Jahren auf die Themen Typografie, Gestaltung und Papier. Zwar erfolgt die Gestaltung der Seiten weiterhin in eigener Regie, aber Calamus wird schnell vom moderneren InDesign abgelöst. In den nun folgenden Jahren werden zunächst elf, später dann sechs Ausgaben pro Jahr der achtseitigen Rubrik produziert. Neben Günter Schuler als regelmäßiger Autor geht die Verantwortung für die Seiten auf Volker Ronneberger über. Der Heft-in-Heft-Charakter mit eigenem Papier und besonderer Gestaltung bleibt die Jahre über erhalten und garantiert der invers eine kleine Sonderrolle in der Publishing Praxis.

Die Entwicklung im Anzeigengeschäft zwingt Ende 2010 den Verlag Deutscher Drucker zur Einstellung der Publishing Praxis und damit endet erst mal auch die Geschichte der invers. Die Entscheidung fällt nach Heftschluss der Ausgabe 11/12, der verpasste Abschiedsgruß von Seiten der invers sei hiermit nachgeholt.

Und jetzt?

Auch wenn eine invers auf Papier zur Zeit nicht absehbar ist, soll die Geschichte des Projektes nicht gänzlich enden. Bevor er so richtig gestartet ist, steht dieser Blog, eigentlich als Begleitung zur Rubrik in der Publishing Praxis geplant, nun erst mal alleine dar. Eine weitere Berichterstattung aus den Bereichen der Typografie, Gestaltung und Papier wird hier also fortgesetzt. Welche weiteren Ideen sich zusätzlich noch umsetzen lassen, wird die Zukunft zeigen. Wir werden sie dann zu gegebener Zeit hier bekannt machen.

Kaligrafische Schrift: Potpourri

Den aus dem französischen stammenden Begriff „Potpourri“ erklärt mein – zugegeben nicht mehr ganz neues – Fremdwörterlexikon mit „gleichbedeutend Eintopf (aus allerlei Zutaten)“. Man sieht das ironische Lächeln in den Augen des Kalligrafie-Meisters Gottfried Pott geradezu vor sich, das erstrahlt haben muss, als er sich den Namen für seine neue Schrift ausdenkt. Potpourri ist vor kurzem bei Linotype veröffentlicht worden.

Potpourri
Die neue Schrift von Gottfried Pott Potpourri.

Die Schrift ist das Ergebnis eines kaligrafischen Experiments. Weder Feder noch Pinsel, sondern einen am Ende ausgefransten Trinkhalm aus Kunststoff setzt Pott als Schreibwerkzeug ein. Mit Deckweiß auf schwarzen Tonkarton geschrieben, entsteht so die grobe Strichstruktur der Potpourri. Bewusst legt Pott die Form der Buchstaben zwischen Schreib- und Druckschrift an; einige Lettern zeigen an den Strichansätzen serifenartige Erweiterungen. Von zahlreichen Buchstaben der Potpourri liegen alternative Formen vor. Manchmal ist der Letter nur ein zweites Mal geschrieben und zeigt im wesentlichen eine andere Strichstruktur. Bei anderen, wie dem gemeinen „a“, das auch in der geschlossenen Form oder dem „g“ das ein- und doppeläugig vorliegt, ändert sich bewusst die Buchstabenform. Automatische, kontextabhängige OpenType-Funktionen stehen aber nicht zur Verfügung. Man ist also aufgefordert, die alternativen Formen zum Beispiel über die Formatsätze selbst auszuwählen.

alternative Buchstabenformen
Einige alternative Buchstabenformen der Potpourri.

Auch wenn Potpourri in kleinen Schriftgraden noch lesbar ist, ihre Lebendigkeit und abwechslungsreiche Strickstruktur spielt sie erst in wirklich großen Schriftgraden aus. Viele Details, sogar kleinste Farbspritzer sind mit digitalisiert worden und treten dann erst in Erscheinung. Informationen zur Potpourri und auch Fotos von ihrer Entstehung hat Linotype auf einer Sonderseite zusammengestellt. Bis zum 12. November ist die Potpourri zu einem Einführungspreis von 10,71 € erhältlich.

Podiumsdiskussion auf der Buchmesse: Typotrends 2011

Diskussionsrunde
Die Runde auf der Buchmesse (v. l. n. r.): Jürgen Weltin, Ulrich Weiß, Gregor Stawinski, Otmar Hoefer und Bertram Schmidt-Friderichs.

Obwohl Schrift und Bücher kaum voneinander zu trennen sind, spielt die Typografie auf der Frankfurter Buchmesse kaum eine Rolle. Immerhin spürte Donnerstag Nachmittag (7.10.2010) eine Podiumsdiskussion auf der Bühne des Weiß’raums aktuellen Typotrends nach: „Type-Trends 2011 – Neue Schriften oder: Warum wir was gerne lesen“.

Vor vollbesetzten Stuhlreihen machten sich Otmar Hoefer von Linotype, Ulrich Weiß (Magma Brand Design, Mitherausgeber von slanted), der Typograf Jürgen Weltin und Gregor Stawinski (Kommunikationsdesign und Autor von Retrofonts) unter der Moderation von Verleger Bertram Schmidt-Friderichs auf die Suche.

Hoefer
Otmar Hoefer

Eröffnet wurde die Runde, wie sollte es aktuell auch anders sein, mit der Frage nach den Webschriften. Die damit verbundene Zunahme der typografischen Vielfalt wurde begrüßt. Neben der Demokratisierung der Schriftauswahl müssen wir wohl aber auch mit einer Abnahme der Professionalität der verwendeten Schriften leben, führt Weiß aus. Nicht jede Schrift ist so gut für den Bildschirm optimiert wie die Arial oder Georgia. Die hohen Anforderungen an das Hinting aber auch eine Optimierung der Dateigröße durch Reduzierung der Glyphenauswahl führen zu einem hohen Arbeitsaufwand bei der Erstellung der Webschriften, erläutert Hoefer. Große Firmen wie Linotype können trotzdem etwa 8.000 ihrer insgesamt 50.000 Schriften für das Web anbieten. In Bezug auf die aktuelle Vielfalt an Dateiformaten zeigte sich Hoefer optimistisch. Ein Format wird sich durchsetzen.

Gregor Stawinski
Gregor Stawinski

Die Frage nach den Typotrends brachte keine Überraschungen. Stawinski erklärte, Techno-Schriften sind inzwischen out. Schreibschriften stehen dafür aber nach wie vor hoch im Kurs und auch Schriften mit abgerundeten Linienabschlüssen erfreuen sich großer Beliebtheit. Zu beobachten sei, dass aktuell gerne sehr fette Schnitte eingesetzt werden. Neben den gut lesbaren Antiquaschriften kommen aber auch solche, die aus geometrischen Formen aufgebaut sind wieder in Mode, die sogenannten Neo-Geo-Schriften. Auf die Frage von Schmidt-Friderichs, warum Retroschriften so populär sind, konnte in der Runde aber niemand so recht eine Antwort finden. Einig war man sich dagegen, dass Schriften wie die Neo von Sebastian Lester, die trotz einer rechteckigen Grundform eine weiche Anmutung haben, als die Schriftform der letzten Jahre zu gelten hat. In diese Kategorie gehört auch die kürzlich veröffentliche Klint von Hannes von Döhren.

Jürgen Weltin
Jürgen Weltin

Free-Fonts, das abschließende Thema der Runde, sind nach Auffassung aller an der Diskussion beteiligten ein wichtiger Bestandteil der Branche. Ähnlich dem Verhältnis zwischen Laientheater und professionellen Bühnen können kostenlose Schriften Lust auf mehr machen. Sie sind also keine Bedrohung kommerziell vertriebener Schriften, sondern ein wichtiger Bestandteil in der Welt der digitalen Fonts. Weltin betonte, er selbst sei über die Experimente beim Erstellen von einfachen freien Schriften zur Typografie gekommen. Ein Weg den er sich für andere auch wünscht.

Erweitertes Plakatprojekt von Verena Gerlach

grlachs blog
Das Plakatprojekt ist ausführlich in Gerlachs Blog dokumentiert.

Als Alternative zu einem kurzfristig von der Regierung in Algier nicht genehmigtem Workshop startete Verena Gerlach ein eigenes Plakatprojekt. Fotografische Fundstücke aus der Algerischen Hauptstadt wurden in schablonenhafte Siebdruckvorlagen gewandelt. Jedes Motiv liegt in zwei Variationen vor: einmal mit und einmal ohne schwarz aufgesprühte Zensurschablone. Über dieses Projekt und eine erste Ausstellung der Plakate in Algier habe ich kurz in der Publishing Praxis, Ausgabe 7-8/2010 berichtet.

Parallel zur diesjährigen AtypI-Konferenz in Dublin stellte Gerlach die Plakate erneut aus, diesmal ergänzt mit 13 Tafeln zu Hintergrund und Geschichte Algeriens. Fotos von der Ausstellung und die Tafeln zur Geschichte sind auf ihrem Blog dokumentiert. Gestaltet sind diese Tafeln, wie Gerlach schreibt, mit ihren eigenen Schriften.

Schön animiertes Musikvideo

Über den Blog Glaserei (immer wieder einen Besuch wert) bin ich auf ein schön animiertes Musikvideo gestoßen. Das Animations-Prinzip das die Agentur Colonel Blimp im Video für den Titel »Let go« der Band Japanese Popstars verwendet ist zwar nicht neu, aber sehr gut und passend zur Musik umgesetzt. Wie alle Videos auf der Agenturseite, lässt sich auch »Let Go« als Quicktime-Film in HD herunterladen.

The Japanese Popstars Feat. Green Velvet - Let Go from Blink on Vimeo.